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Ostsee-Zeitung l Donnerstag, 23. Oktober 2008 | Blickpunkt l 783 Wörter
Abgeschmettert

Der Landtag hat die Volksinitiative gegen das Steinkohlekraftwerk in Lubmin abgelehnt. Damit sind die Bemühungen Tausender Bürger gescheitert, die das 1600-Megawatt-Projekt auf politischem Wege stoppen wollten.

Schwerin (OZ/dpa/epd) Demokratie wagen – mit diesem Credo war Oskar Gulla einst angetreten. Der 60-Jährige, der vor sieben Jahren aus dem Ruhrgebiet nach Greifswald zog, ist seit 40 Jahren Sozialdemokrat. Wie der Schweriner Landtag gestern mit der Volksinitiative „Kein Steinkohlekraftwerk in Lubmin“ umging, hat ihn erschüttert. „Ich finde es erschreckend undemokratisch, dass die Meinung von 32 000 Bürgern nicht zur Kenntnis genommen wird“, sagt der Bootsbau-Gutachter, der sich ehrenamtlich als Vorsitzender der Greifswalder Bürgerinitiative gegen das geplante Kohlekraftwerk engagiert. Der Schweriner Landtag hatte nach heftiger Debatte die Volksinitiative „Kein Steinkohlekraftwerk in Lubmin“ mit Stimmen von SPD und CDU abgelehnt. Die Linke als Mitinitiator der Volksinitiative bezeichnete den Umgang der Regierungsfraktionen mit der Volksinitiative als „unwürdig, peinlich“ und einen „Schlag ins Gesicht der Demokratie“. Auch zwei Abgeordnete der SPD stimmten gegen die Ablehnung der Volksinitiative, drei weitere enthielten sich der Stimme. In einer Entschließung wurde auf das laufende Genehmigungsverfahren und die Anhörungen verwiesen. Der Wirtschaftsausschuss des Landtages hatte dem Parlament schon Anfang Oktober empfohlen, die Volksinitiative abzulehnen. Damit sind die Bemühungen von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Grünen und Linken gescheitert, das Projekt des dänischen Investors Dong Energy auf politischem Wege zu stoppen. Tourismuswirtschaft, Kommunalpolitiker und Umweltschützer befürchten negative Auswirkungen. 

Unmittelbar vor der Abstimmung über die Beschlussempfehlung war ein Satz, nach dem vom Kraftwerk „keine negativen Auswirkungen“ ausgehen, auf Antrag von SPD und CDU gestrichen worden. Gutachten hätten bislang noch keine eindeutigen Ergebnisse gebracht.

Der Naturschutzexperte der Umweltorganisation BUND, Arndt Müller, sieht das anders. „Wir haben mit qualifizierten Gutachten nachgewiesen, dass es für die umliegenden Gemeinden und auch für die Naturräume erhebliche negative Auswirkungen geben wird“, meint der Biologe. Ein ernstzunehmendes Problem sei beispielsweise das mögliche verstärkte Auftreten von gesundheitsgefährdenden Bakterien durch die Einleitung des erwärmten Kühlwassers.

Kraftwerksgegner hatten gestern Morgen erneut vor dem Landtag gegen den Energieriesen demonstriert. Aus einem fünf Meter hohen Kraftwerks-Modell in Form eines Dinosauriers ließen sie Tausende schwarze Ballons aufsteigen. Auch die ankommenden Abgeordneten erhielten symbolisch CO2-gefüllte Luftballons. 

„Wir haben noch große Hoffnung diesen Aberwitz stoppen zu können. Kohle ist ein Energieträger von gestern“, sagt Elias Perabo von der „Klima-Allianz“, einem bundesweiten Bündnis von Umweltverbänden, das gestern in Schwerin zusammen mit Kraftwerksgegnern aus Mecklenburg-Vorpommern protestierte.

Auch Helmut Holter von der Linksfraktion kritisierte die Behandlung der Volksinitiative im Landtag. Seiner Meinung nach hätten die Faktionen der Regierungskoalition eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema und das Hinzuziehen von Experten verhindert. Die FDP teilte die Kritik, ihr Fraktionschef Michael Roolf sprach von einem „unwürdigen Verhalten“. Roolf betonte aber, dass über Investitionen amtliche Genehmigungsbehörden zu entscheiden hätten. „Deren Entscheidungen haben wir dann zu akzeptieren“, so Roolf.

Wirtschaftsminister Jürgen Seidel (CDU) rief zu „Besonnenheit und Sachlichkeit in der Diskussion“ auf. Er warnte davor, bei den Bürgern Erwartungen zu schüren, „dass durch Parteitagsbeschlüsse bestehende Gesetze“ außer Kraft gesetzt werden könnten. „Eine politische Einflussnahme wird es nicht geben, sie wäre auch rechtswidrig“, betonte Seidel. Er verwies darauf, dass im Rahmen des laufenden rechtsstaatlichen Genehmigungsverfahrens auch die vorgebrachten Einwände sorgfältig geprüft würden. Jochen Schulte von der SPD-Fraktion pflichtete dem Wirtschaftsminister bei. Die Politik setze den Rahmen und sorge dafür, dass dieser eingehalten werde. „Das ist eines der Grundprinzipien, die einen legitimierten Rechtsstaat von einem willkürlichen System unterscheiden.“ 

Die Protestaktion vor dem Schloss bildete den Abschluss der bundesweiten Anti-Kohle-Tour, die am 7. Oktober in Berlin gestartet war. Sie führte durch zehn Städte, in denen in naher Zukunft Kohlekraftwerke entstehen sollen. Rund 30 neue Kohlemeiler sind in Deutschland geplant. Widerstand engagierter Bürger führte aber in Bremen, Kiel und Germersheim am Rhein dazu, dass dort die Pläne auf Eis gelegt oder aufgegeben wurden. In Hamburg-Moorburg jedoch wurde kürzlich dem Bau eines Kohlemeilers grünes Licht erteilt. Dem mussten sich auch die Grünen beugen, die seit der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg gemeinsam mit der CDU regieren. Der Dong-Projektleiter in Greifswald-Lubmin, Peter Gedbjerg, fühlt sich durch den Entscheid pro Kraftwerk in Moorburg in seiner Ansicht bestärkt, „dass unser Kohlekraftwerk genehmigungsfähig ist“, wie er gegenüber der OZ sagte. „Wir haben alle erforderlichen Gutachten und Fakten beigebracht.“ Am kommenden Dienstag beginnt die öffentliche Anhörung zu den Projektunterlagen. Von den 9000 Einwendungen zeigt sich der dänische Konzern aber unbeeindruckt. Manager Gedbjerg: „Erhalten wir die Genehmigung, werden wir bauen.“ Internet: www.campact.de, www.zukunftstattkohle.de www.dongenergy.de

ELKE EHLERS

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